Wolfsburg. Der Abwehrbüffel des VfL im großen Interview vor dem Start.

Im letzten Heimspiel des Jahres gegen Eintracht Frankfurt hat Jeffrey Bruma sein erstes Tor für den VfL Wolfsburg erzielt. Natürlich per Kopf. Der Abwehrchef des Fußball-Bundesligisten hat sich diese Stärke bei einem seiner großen Vorbilder abgeschaut: John Terry. Beim FC Chelsea spielten die beiden zusammen. Was Bruma gelernt hat, wie er zu seinem Spitznamen steht und wie er sich vor dem Duell des VfL gegen seinen Ex-Klub aus Hamburg fühlt, erzählt er im Interview mit Sportredakteur Leonard Hartmann.

Jeffrey Bruma, mit der Partie gegen den HSV startet das neue Fußballjahr. Wie fühlen Sie sich?

Wir sind mit den Gedanken schon lange bei der Partie gegen den HSV, wir haben uns lange und intensiv darauf vorbereitet. Die beiden Siege vor Weihnachten waren ganz wichtig für den Kopf. Davor hatten wir eine unheimlich schwierige Phase. Der ganze Verein hat sich schlecht gefühlt. Es war schwierig, da unten rauszukommen. Jetzt sind wir mit einem Fuß raus, aber wir müssen weitermachen. Endlich haben wir wieder gezeigt, dass wir Fußball spielen können und dass wir unser Selbstvertrauen zurückhaben. So konnten wir Weihnachten zumindest ein wenig genießen. Aber zurückgelehnt haben wir uns ganz sicher nicht. Wir haben mit Hamburg und Augsburg jetzt zwei Heimspiele vor der Brust, und die müssen wir gewinnen. Nichts anderes. Wir haben zweieinhalb intensive Wochen Vorbereitung hinter uns. Jetzt muss es knallen.

Herrscht ein anderes Gefühl beim VfL als noch im Sommer, als Sie neu dazugekommen sind?

Eigentlich verspüre ich kein grundsätzlich anderes Gefühl. Im Sommer war ein bisschen mehr Unruhe, weil öffentlich so viele mögliche Wechsel diskutiert wurden. Aber da war ich neu dabei und konnte die Situation noch nicht so ganz genau beurteilen. Außerdem musste ich selbst erst mal ankommen in der neuen Stadt. Dann ist natürlich die Hinrunde nicht so gelaufen, wie wir es uns vorgestellt hatten – obwohl der Start mit dem Sieg in Augsburg okay war. Es kamen aber viele Unentschieden, und wir haben oft verloren. Dann haben wir einen Neustart gemacht mit dem neuen Trainer, jetzt mit dem neuen Manager. Es ist an uns Spielern zu zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Und ich habe ein gutes Gefühl.

Wie muss dieses Gefühl auf dem Rasen aussehen?

Wir müssen schwer zu schlagen sein. Da müssen wir hin. Es gab eine Phase in der Hinrunde, in der die Gegner gerne zu uns gereist sind, weil wir zu Hause Probleme hatten. Dieses Gefühl muss weg, daher war der Heimsieg gegen Frankfurt immens wichtig.

Mit Dieter Hecking und Klaus Allofs sind die Personen weg, die Sie zum VfL gelotst haben. Sind Sie sich manchmal vorgekommen wie im falschen Film?

Nein, so etwas kann passieren, wenn man zu einem neuen Verein kommt. Aber man muss positiv bleiben, auch wenn es eine Phase gibt, in der alles schief läuft. Es war schwierig für alle. Aber es ist ein Prozess, den wir durchleben, und ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg. Ich hoffe, dass die bösen Geister jetzt besiegt sind.

Fällt es Ihnen schwer, immer positiv zu denken?

Das ist oft anstrengend, aber ich habe das von großen Spielern gelernt. Sie haben mir gezeigt: Wenn ich den Kopf hängen lasse, wird es noch schlimmer. Ich habe beim FC Chelsea mit John Terry gespielt, der auch Spiele und Titel verloren hat, aber immer positiv geblieben ist. Er lehrte mich: Das einzige, was hilft, ist die Brust rauszustrecken und seinen Weg weiterzugehen. Das habe ich schon im jungen Alter gelernt. Ich habe versucht, in unsere Mannschaft einzubringen, dass man nie aufgeben darf. Das hört sich einfach an. Aber diese Stärke muss man entwickeln.

Sie haben in dieser Saison bereits drei Positionen gespielt: in der Viererkette halbrechts sowie in der Dreierkette in der Mitte und auf der rechten Seite. Welche ist Ihre Lieblingsposition?

Der halbrechte Platz in der Viererkette ist meine Hauptposition, aber mir gefällt es auch in der Dreierkette rechts sehr gut. Da kann ich meine ganze Energie einsetzen. In der Mitte der Dreierkette ist man etwas isolierter. Da komme ich nicht richtig in die Zweikämpfe – und die brauche ich. Ich suche immer den Kontakt mit den Gegenspielern. Die Mitte passt besser zu Luiz Gustavo, er ist der bessere Stratege.

Viele bezeichnen Sie wegen Ihrer Statur als Abwehrbüffel. Gefällt Ihnen der Spitzname?

Ja, ich habe ein bisschen die Ausstrahlung (lacht). An meinem Körper ist ein bisschen was dran, und ich gehe immer voll in die Zweikämpfe. Daher passt der Vergleich.

Sind Sie mit 25 Jahren noch jung oder schon erfahren?

Viele sagen, dass die beste Zeit eines Innenverteidigers ab 26 Jahren kommt. Daher bin ich mit 25 noch immer ein bisschen jung (lacht). Ich lerne, und das wird auch nie aufhören. Ich versuche immer, Sachen aufzuschnappen, die mich nach vorne bringen.

Setzen Sie sich konkrete Ziele, um besser zu werden?

Ich schaue mir nach jedem Spiel noch einmal alle meine Szenen an und studiere sie. Das dauert immer so 20 Minuten. Das mache ich gerne. Da kann ich immer gut sehen, was ich falsch mache und verbessern muss. Das mache ich seit vier Jahren, und ich merke: Es hilft mir.

Ex-Trainer Hecking war früher Stürmer, mit Valérien Ismaël steht ein ehemaliger Topverteidiger an der Seitenlinie. Ein Vorteil für Sie?

Ich denke, das ist gut für mich. Er war ein Topspieler und weiß, wie sich ein Verteidiger fühlt und was er denkt. Er ist auch groß, hat eine ähnliche Statur wie ich. Es hilft, wenn er die kleinen Dinge erkennt und anspricht. Er sagt mir oft, ich soll mutiger sein und nach vorne noch mehr Aktionen haben.

Kannten Sie Ismael noch als Spieler?

Klar. Als ich noch nicht beim VfL war, wusste ich gar nicht, dass er das zweite Team des VfL trainiert. Ich habe mich gefreut, als ich es gehört habe. Als ich ihn gesehen habe, wusste ich natürlich sofort, dass er zusammen mit Lucio bei den Bayern gespielt hat. Es ist schön, dass er ein guter Verteidiger war.

Zu wem schauen Sie auf?

Früher war es John Terry, der saß beim FC Chelsea neben mir in der Kabine zwischen meinem 17. und 21. Lebensjahr. Ich habe alles beobachtet, was er macht, und das am Ende des Tages auf einen Zettel geschrieben, damit ich nicht vergesse, was er anders macht als andere Verteidiger. Top-Abwehrspieler machen eben Kleinigkeiten anders als die normalen. Er war sehr torgefährlich,und ich habe mich gefragt: Was macht ihn so gut vor dem Tor? Das habe ich dann beobachtet und nachgemacht im Training. Er hat sehr viel Verantwortung übernommen, war ein echter Charakter. Er war ein guter Lehrer. Jetzt sind es Spieler wie Thiago Silva, Sergio Ramos, Jerome Boateng, zu denen ich aufschaue. Da will ich auch hin. Man muss Ziele haben. Und das ist die nächste Stufe. Deswegen stehe ich jeden Tag auf und arbeite, um eines Tages ganz oben zu sein.

Wie war das damals bei Chelsea?

Ich war 16 oder 17, war vierter Verteidiger im Team hinter Terry, Branislav Ivanovic und Ricardo Carvalho. Eigentlich wollte der Klub noch einen Neuen kaufen. Der Boss hat dann aber auf mich gesetzt. Ich bin zwei Jahre lang überall mit hingeflogen, habe alles genau studiert und immer mittrainiert. Es war sehr lehrreich. Terry hat mir immer geholfen, wenn ich etwas gebraucht habe. Oder wenn er etwas gemacht hat, hat er mich ermutigt, dass ich es auch mal machen soll. So bin ich reingekommen.

Erinnern Sie sich an einen bestimmten Tipp von Terry?

Bei meinem allerersten Training mit der ersten Mannschaft hat er mich zur Seite genommen. Wir haben 7 gegen 7 gespielt, ich sollte natürlich Innenverteidiger spielen – aber ich war überall auf dem Platz. Ich wollte mich zeigen, war links, rechts, vorne hinten, habe Tore gemacht und vorbereitet. Aber John sagte: „Jeff, du bist jetzt bei der ersten Mannschaft. Versuch einfach, zentral zu bleiben und deinen Job zu erledigen. Mehr braucht es nicht. Steh einfach hier neben mir und mach deine Sache weiter. Die Trainer glauben an dich.“ Ich wollte einfach zu viel. Und er hat mich runtergebracht.

Nach vier Jahren bei Chelsea gingen Sie zum HSV. Und das ging schief.

Ich sollte in Hamburg gleich der Boss sein und war voller Selbstvertrauen wegen der tollen Herausforderung. Aber schnell habe ich gemerkt: Es war zu früh für mich, eine Mannschaft zu führen. Ich war erst 19 Jahre alt. Heiko Westermann war der erfahrene Abwehrspieler neben mir, von dem ich eigentlich hätte lernen sollen. Aber ich musste alles machen. Ich war einfach zu jung. Dazu kam die schwierige Liga. Ich kam aus Chelseas zweiter Mannschaft, hatte meine erste Vorbereitung in Deutschland hinter mir, die sehr hart war. Dann kam das erste Ligaspiel, aber ich war einfach fertig. Darum ging einiges schief. Nach einem Monat war es viel besser.

Es prasselte viel Kritik auf Sie ein.

Aber das hat mich nicht überrascht. Der HSV ist ein großer Verein. Sie haben mich als Führungsspieler geholt und auch so präsentiert. Mir war schon klar: Wenn es nicht läuft, stehe ich in der Kritik. In Hamburg ist es immer unruhig, das spürt man.

Waren Sie denn froh, als die PSV Sie haben wollte?

Als Eindhoven gefragt hat, ob ich dahin wechseln will, habe ich sofort zugesagt. Die zwei Jahre in Hamburg waren nicht so gelaufen, wie ich es mir gewünscht hatte. Sie wollten mich noch ein Jahr halten in Hamburg. Aber ich sagte Nein. Ich habe viel gelernt, aber ich musste mich selbst wieder finden. In meiner Heimat hatte ich dann drei tolle Jahre, die waren super. Das will ich hier jetzt auch haben

Haben Sie noch Kontakte nach Hamburg?

Nein, ich war seitdem nie wieder da, obwohl Hamburg eine geile Stadt ist. Ich habe noch ein, zwei Freunde da. Vielleicht gehe ich dort bald mal wieder etwas Essen.

Ist die Partie gegen denn HSV denn etwas Besonderes für Sie?

Ein bisschen schon, ja. Hamburg ist ein großes Kapitel in meiner Karriere, dort ist viel passiert. Es wird ein schönes Spiel gegen meinen alten Verein. Aber mehr ist es auch nicht. Das Kapitel Hamburg ist vorbei.

Welche Spieler aus Ihrer Zeit sind noch da?

Nur noch Dennis Diekmeier und René Adler. Vor dem Spiel werde ich sie sicher begrüßen. Aber danach wird es ein Kampfspiel, und ich muss mich auf mich fokussieren.

Sind Sie durch die Erfahrungen Ihrer Karriere erwachsen geworden?

Ich denke, ich bin an der Grenze dazu. Mit 24 ist man noch jung, 25 ist die Grenze. Ich bin auf dem Weg.

Sie sind Ende vergangenen Jahres zum ersten Mal Vater geworden.

Ja, das hat natürlich sehr positiv zu meiner Entwicklung beigetragen. Die ersten drei Monate gefallen mir richtig gut, ich bin ein sehr stolzer Vater. Ein Baby kostet Energie, wenn es nicht schlafen kann oder krank ist. Aber es gibt so viel Liebe zurück, das ist unvergleichlich. Meine Verantwortung ist natürlich gewachsen. Bei jeder Entscheidung denken wir daran, was es für das Kind bedeutet. Es ist eine Entwicklung, man wächst daran. Ich muss mein Kind großziehen und positiv sein, auch wenn es beim Sport gerade nicht läuft. Ich muss lachen für ihn.

Ist er Rechts- oder Linksfuß?

Rechts, genau wie der Vater (lacht).

Ihr Bruder Marciano hat auch Fußball gespielt. Warum hat es bei ihm nicht geklappt?

Er war in der zweiten englischen Liga bei Barnsley und hat auch bei Legia Warschau gespielt. Er hatte was drauf, war aber nicht so diszipliniert wie ich. Daher war’s für ihn früh vorbei. Er ist ein guter Typ, aber er hat etwas mehr gelebt als ich (lacht).

Bereuen Sie, etwas verpasst zu haben, weil Sie so früh von zu Hause weggegangen sind?

Darüber habe ich mit meiner Familie und meinen Freunden oft gesprochen. Es war eine riskante Entscheidung, mit 16 Jahren nach England zu ziehen. Man weiß nie, was kommt. Aber ich bin mit vollem Glauben losgezogen. Ich habe meiner Mutter gesagt: Wir gehen dahin, und ich schaffe es in die erste Mannschaft. Ich kann nicht erklären, woher dieses Vertrauen kam, aber es war in mir. Zwei Jahre später habe ich dann mein Debüt für Chelseas erste Mannschaft gegeben. Ich stand im Stadion auf dem Rasen und dachte: Wahnsinn, jetzt ist es Realität. Dann war alles vergessen, was ich vorher geopfert habe.

Aber Party gab’s nicht, oder?

Meine Freunde haben immer Party gemacht, während ich mit meinen Eltern alleine zu Hause saß. Aber ich hätte auch gar keine Kraft oder Zeit fürs Feiern gehabt. Ich musste morgens um 7.30 Uhr los, hatte dann zweimal Training und kam abends um 18.30 Uhr zurück. Das ist das Modell bei Chelsea. Klar vermisst man ab und zu mal etwas, aber man kriegt sehr viel zurück, das darf man nie vergessen. Darauf kann man stolz sein. Ich kann mein echtes Leben genießen, wenn meine Karriere vorbei ist. Im Moment ist der Fokus noch so hoch, dass ich in jedem Urlaub darauf achte, nicht zu viel zu relaxen. Man kann genießen, muss aber auch aufpassen, dass man zum Beispiel nicht im falschen Moment fotografiert wird, das landet dann schnell im Internet. Das muss man im Kopf haben. Meine Zeit, in der ich machen kann, was ich will, kommt nach der Karriere. Aber das kann noch ein paar Jahre warten.