Neuenbürg. Sandra Lechleiter gehört gewissermaßen zu einer seltenen Spezies: Sie ist eine der wenigen Fischtierärzte in Deutschland. Als solche muss sie oft stundenlang im Auto sitzen und bekommt es dann mit Parasiten, Bakterien und Darmproblemen ihrer schuppigen Patienten zu tun.

Viele Patienten von Sandra Lechleiter haben Schuppen, doch meistens liegt hier nicht das Problem. Die Tierärztin hat sich auf Fische spezialisiert und behandelt vom Guppy bis zum Koikarpfen Zierfische aller Art.

Auch Haie und Süßwasserrochen zählen schon mal zu ihren Klienten, wie Lechleiter berichtet.

So ist ihr auch Schwarzspitzen-Riffhai Attila besonders in Erinnerung geblieben: Kurz bevor sie ihn wegen eines Darmvorfalls operieren wollte, hatte sich das Problem von selbst erledigt und der raushängende Darmteil war wieder im Körper des Tieres verschwunden. "So spontan er rausgerutscht war, ist er auch wieder reingeflutscht."

Überhaupt seien Fischkrankheiten sehr abwechslungsreich. "Fischarten sind so unterschiedlich wie Löwe und Elefant", sagt die Fachtierärztin. Auch Jahreszeiten spielten eine Rolle: Im Frühjahr seien häufig Parasiten ein Problem, im Sommer eher bakterielle Erkrankungen, im Herbst wiederum Tumore.

Für die Untersuchung betäubt sie die Fische in der Regel mit Hilfe eines Pulvers, das im Wasser gelöst wird. "An den Reflexen erkennt man, wie tief ein Fisch sediert ist", erläutert Lechleiter. Danach könne sie an Haut und Kiemen Abstriche machen. Eine Darmspülung sei hilfreich bei der Suche nach Parasiten. Bei größeren Tieren könnten auch einzelne Wunden behandelt werden.

Haltungsbedingte Krankheiten spielten ebenso eine Rolle - wie falsche Ernährung. Oder Schimmelpilze bildeten sich in falsch gelagertem Futter. Immer wieder müsse sie auch bessere Haltungsbedingungen wie größere Becken oder sauberes Wasser anmahnen, erzählt Lechleiter.

Laut Bundesärztekammer gibt es nach jüngsten Angaben gerade mal 28 aktive Fischtierärzte deutschlandweit. Das Gros kümmere sich um Nutzfische wie Forellen und Karpfen, die zum Essen gezüchtet werden, so Lechleiter. Sie hat sich entschieden, Zierfische behandeln zu wollen und 1998 eine Praxis gegründet. Weil Lebensmittel nicht mit Arzneimitteln belastet sein sollen, gehe es bei Speisefischen eher um Vorbeugung, sagt sie. Manchmal dürfe erkrankten Tieren dann nicht geholfen werden, obwohl es Medikamente gebe. Das sei auch ein tierethisches Problem. "Bei Heimtieren habe ich eher die Gelegenheit, zu helfen."

Montags und samstags ist sie in ihrer Praxis, dienstags bis freitags tourt sie durch die halbe Republik - die geringe Zahl an Fischärzten bringt auch ein großes Einsatzgebiet mit sich. Attila etwa schwamm in Zürich durch ein Becken, mitunter muss Lechleiter zu Patienten ins hessische Gießen. Selten habe ein Arbeitstag nur acht Stunden. Sie versuche, Termine zu bündeln - drei bis zwölf an einem Tag. "Je nachdem, wo ich hin muss." Zum Glück gebe es nur wenige Notfälle.

Dieser Aufwand sei auch ein Grund, warum es an Fischtierärzten mangele. "Mehr Ansprechpartner wären aber nötig", meint Lechleiter. Manche allgemeinen Veterinäre ließen sich fortbilden. Und auch die Fischbesitzer seien gefragt: Weil manche Untersuchungsergebnisse erst nach einigen Tagen vorliegen, bleibt die Tierärztin mit den Haltern in Kontakt, die sich etwa um Quarantänebecken kümmern. "Die Besitzer machen einen tollen Job in der Weiterbehandlung." Für Interessierte bietet sie auch Kurse an etwa zum Mikroskopieren und Erster Hilfe.

Ob man einen Fischtierarzt ruft, hänge vom Wert der Tiere ab, sagt Jörg Scherle, Geschäftsführer von Koi Stuttgart. Mit Anfahrt koste ein Einsatz schnell 200 Euro oder mehr. Engpässe wegen der geringen Zahl an Experten gibt es nach seiner Einschätzung allenfalls im Sommer, bei höheren Wassertemperaturen. Und dann müsse es mitunter schnell gehen: "Wenn man sieht, dass ein Tier krank ist, dann ist das schon weit fortgeschritten." Dann blieben oft nur ein, zwei Tage.

Sandra Lechleiter selbst hält privat Guppys und Goldfische. "Ich habe keine Fische, die kompliziert sind und viel Pflege brauchen." Dafür fehle schlicht die Zeit. Und auch komme Fisch bei ihr auf den Teller. "Ich bin natürlich ein leidenschaftlicher Fischesser, weil ich weiß, wie gut die Tiere in Deutschland kontrolliert werden", so Lechleiter. "Das ist eines der besten Lebensmittel, die auf der Welt gedeihen."

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